Digital Native

Wer wie ich die Jahrtausendwende als Erwachsener überschrittener hat, für den ist die Digitalisierung eine der zentralen historischen Entwicklungen, die sein Leben prägen. Ging früh los. Schon mein Gymnasium war eines der ersten in Bayern, die einen Computerraum hatten, so dass ich – damals noch in den 80ern – lernte, in Basic zu programmieren.

Soweit ich mich erinnere war mein erstes Notebook ein Compaq Aero mit 4MB Speicher. Das größere Modell hätte 8MB gehabt, aber der Verkäufer war sich sicher: so viel Speicher brauchst du nie im Leben! Im Studium war Microsoft (Write) dann schon mein Nonplusultra, während andere noch auf der Schreibmaschine tippten. Einer meiner Nebenjobs war Korrekturlesen bei einer Computerfirma. Gefühlte hundert Meter Endlospapier bedeckt mit den immerselben Codezeilen.

Bei meinem ersten Arbeitgeber war ich – als Trainee – dann der erste, der einen Internetzugang beantragte. E-mails checken und das Usenet durchstöbern. Die coolen Jungs von der Werbeagentur gegenüber ließen mich kleine Flashfilme draften. Wenig später scribbelte ich auf einem Din A 4 Blatt die erste Homepage eines großen deutschen Konzerns.

Ich wechselte zum damals weltweit drittgrößten Netzwerk von Online-Agenturen. Es waren die goldenen Zeiten des New Media Hype. Wir flogen Business Class durch die Welt und brachten große Weltmarken ins Netz. Websites, Intranets, Online-Werbung, Newsletter-Marketing.

Schnell stellte sich heraus, dass wir tiefer in die Geschäftsprozesse eindringen mussten. Um vernünftige Anwendungen zu bauen, brauchten wir Daten. Kundendaten. Mitarbeiterdaten. Produktdaten. Daten der Niederlassungen. Daten der Händler. Daten der Bewerber. Was mit simplen Websites begann führte schnell zu eCommerce, zu ERP, zur digitalen Transformation ganzer Organisationen.

Ich wechselte zu einem Kunden und leitete dort alles, was mit digitaler Kommunikation zu tun hatte. Unzählige Websites und Anwendungen von Landesgesellschaften und Tochterfirmen, alle auf ein System migriert. Produktdatenbanken, Onlinebewerbungsverfahren, SAP. Der Sales-Chef lachte erst herzlich, als ich ihm von einem Online-Shop erzählte, aber schon nach wenigen Monaten machte ich allein dort mehr Umsatz als seine umsatzstärksten Sales Reps zusammen.

Das nächste große Ding war natürlich mobil. Der Weg führte mich daher zum damals weltweit fünftgrößten Handyhersteller, dann zum drittgrößten Anbieter von Telekommunikationslösungen und schließlich war ich als Leitender Angestellter beim Zusammenschluss von zwei der größten IT-Servicedienstleister zu einem neuen IT-Branchenriesen dabei.

Was ich aus erster Hand gelernt habe: Die Einführung neuer Technologien hat für jeden Einzelnen, für eine Organisation, für ganze Gesellschaften oft dramatische Folgen. Die positiven müssen gefördert, die negativen abgemildert und sanktionierbar werden. Manchmal reichen vielleicht persönliches Lernen und Selbstdisziplin, oft werden Betriebsrat und Unternehmensführung hart ringen müssen, Verbände und NGOs sind im öffentlichen Aushandeln des Möglichen und Erlaubten unersetzlich, und nicht zuletzt braucht es knallharte Regulierung durch staatliche Institutionen.

Umso spannender war, im Anschluss in einer der größten deutschen Stadtverwaltungen als Amtsleiter unter anderem auch die Verantwortung für IT-Prozesse und digitale Kommunikation in einer europäischen Metropole zu übernehmen. Zu der Zeit beschäftige ich mich dienstlich viel mit KI.

Seit Ende 2021 bin ich Chief Digital Officer des BMZ. Von 2019 bis 2021 war ich Chief Digital Officer des Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) in Berlin und damit der erste CDO eines Bundesministeriums überhaupt. In dieser Funktion vertrat ich das Ressort auch bis 2021 in der Konferenz der IT-Beauftragten des Bundes (KoITB).

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Auch privat war ich stets eng am Thema dran. Ich habe mit zahlreichen eigenen Websites, für NGOs und in Wahlkämpfen, mit Online-Marketing, Fundraising und Social Media bis zu den übelsten Shit Storms umfangreiche Erfahrungen gesammelt. Mein Alltag: Spotify und Kindle, OneNote und Twitter, Skype und Alexa, Trello und Telegram, Doodle und Slack, WordPress und Dropbox, Scrivener und Pacemaker, Google Search Console und Betterplace.

Und nicht zuletzt verfolgt mein letztes Buch „Ich bin der neue Hilmar und trauriger als Townes“ eine Erzählstrategie, die ohne das Internet nicht denkbar wäre. Wer mal eine Doktorarbeit zu Mechanismen der Selbstkonstruktion in Onlineportalen in der modernen Literatur schreiben will, der wird hier fündig.

Sie spielen auch keine Computerspiele, programmieren nicht, haben keine Ausbildung zum Informatiker gemacht? Wichtig ist doch waches, angstfreies Interesse an neuen Technologien, ohne ein kritikloser Techie und weltfremder Nerd zu sein. Denn Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Wo sie mir hilft, effizienter zu sein, wunderbar. Wo sie Energie sparen hilft, bravo. Wo sie Menschen zusammenbringt, perfekt. Wo böse Menschen, Organisationen, Konzerne, Diktaturen jedoch Digitalisierung nutzen, um übergriffig auf unsere autonomen Entscheidungen und Datenhoheit zu werden, da ist Vorsicht geboten.

Die Menschheit hat die Erfindung der Pistole und der Atombombe überlebt, wir werden auch die Serverfarmen in Griff bekommen. Entscheidend ist, dass wir die Digitale Transformation aktiv so gestalten, dass sie der sozial-ökologischen Transformation dient. Und es ist doch schon cool, dass ich solche Playlists mit Musik aus der ganzen Welt (also vor allem natürlich Texas) zusammenstellen und mit euch teilen kann: