Die folgenden Passagen sind dem Büchlein „Texas ist nicht Bayern“ entnommen, das 2008 erschien.
Ich möchte Ihnen heute etwas über dieses Buch hier erklären: Traurig und schee – Das Willi Ehms Liederbuch. Im Besonderen werden wir uns aber mit Texas und Bayern und Öl beschäftigen, und was das miteinander und mit den Liedertexten und mit Ihnen zu tun hat.
Die Lieder im Willi Ehms Liederbuch spielen an zwei Orten: drinnen und draußen.
Draußen ist hier, ist die Region zwischen Bad Tölz und Regensburg, und wenn sie einen Globus zur Hand nehmen und draufschauen, werden sie feststellen, dass das ein sehr begrenztes Fleckchen Erde ist. Wenn Sie aber den etwa gleich großen Kopf eines Dichters in die Hand nehmen und rausschauen, werden Sie feststellen, dass zwischen Altötting und Ulm ein riesiges Gebiet ist, das sie in einer Woche nicht abschreiten und auch nicht abschreiben können.
Drinnen ist in meinem Wohnzimmer, an meinem Schreibtisch, hinter dem Fenster. Ich führe ein Leben hinter Glas, müssen Sie wissen. Wände und Zimmerdecken und Fußböden. Ich führe ein Leben im Sitzen und Liegen. Wer schreibt, geht nicht. Wer schreibt, geht nicht raus.
In diesen Liedern geht es um Menschen, Menschen drinnen und draußen, in den Bergen, an Flüssen und in Schlafzimmern, um Liebe, Liebe nach der sich eine junge Frau sehnt, Liebe, die ein Mann um die 40 erinnert, wie er sie als Mann um die 20 erlebt hat, um Liebe, die wir machen, um Sex, um die Schwangerschaften, die daraus entstehen und die Abtreibungen, die sie nötig machen. Um Familien und die dort üblichen Misshandlungen, um Freundschaft, um schöne Tage am See, viel trinken und gut essen, um Störungen beim Essen, um Krankheit, psychisch und physisch, um ein grelles Sterben und die schattige Trauer danach.
Es geht um Politik, und die Religion geht um, das Glauben, was die Gesellschaft erwartet, und was zählt, wenn du heute wieder allein daheim bist, wenn das Licht ausgeht, und vor dem Einschlafen dein innerer Blick sich an dem letzten Gedanken des Tages festhält, dem ersten Traum dieser Nacht. Darum geht es. Um dich. Um dich, dein Leben, deine Liebe, dein Herz, und wer es beschützt.
Von Willi Ehms gibt es eine bayrische Version von „Shelter from the storm“, um nicht zu sagen, ein Medley mit „If you say her say hello.“, auch von Dylan. Normalerweise müsste ich „Wennst as sieghst“ jetzt vorlesen. Aber ich tue das nicht. Das liegt an Richard Brandom, dem derzeit vielleicht wichtigsten amerikanischen Philosophen. Brandoms Kernthese, ganz einfach gesagt, lautet: „Wenn man eine Behauptung aufstellt, übernimmt man nicht eine Verantwortung gegenüber ‚der Welt’ oder ‚der Wahrheit’, sondern gegenüber anderen Angehörigen der Gesellschaft.“ Sie können das u. a. nachlesen bei Richard Rorty, in Philosophie der Kulturpolitik, S.22.
Ich halte es für meine enorme Verantwortung Ihnen gegenüber, dieses – wenngleich wunderbare – Lied „Wennst as siehgst“ jetzt nicht zu singen, nicht einmal vorzulesen. Denn ich bin kein Sänger. Ich bin kein Kabarettist. Ich bin auch kein Dichter. Ich bin kein Songwriter, ich schreibe auch keine Songs, nur Liedtexte, vielleicht nicht einmal das. Ich stelle diese Behauptung, dass das Songtexte von Willi Ehms wären, nur auf, benutze diese Sprachhandlung nur, um mit Rorty und Brandom zu sprechen, um meine soziale Beziehung zu Ihnen hier zu begründen. Was meine Sache ist, ist das Schreiben. Nicht das Vorlesen des Geschriebenen. Das Willi Ehms Liederbuch ist nicht für die Bühne gemacht.
Ich, ich bin ein Wortmensch. Ich bin ein Sprachmaler, ein satzbildender Künstler, ein Worthauer. Meine Heimat ist das Wohnzimmer. Deshalb lade ich Sie ein zu tun, was ich für die einzig richtige Form der Rezeption dieser Texte halte: sie zu lesen. Sie sind ein derart völlig unkommerzielles Werk der Liebe und Leidenschaft zu Worten, dass Sie das Buch auch nicht kaufen können. Normalerweise bekommt man es nur bei einem Bier zu einem guten Gespräch geschenkt. Sie können bei Interesse ja schon mal überlegen, wie wir das hinkriegen, aber bitte nicht alle auf einmal, sonst wird das mit den Gesprächen so holprig.